Dienstag, Januar 16, 2007

Seymour Martin Lipset (1922-2006)

Vor kurzem (31.12.2006) ist Seymour Martin Lipset an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben. Auch wenn über seinen Tod in der deutschsprachigen Presse so gut wie überhaupt nichts zu lesen war, muss man ihn zweifelsohne zu den wichtigsten Sozialwissenschaftlern des vergangenen Jahrhunderts zählen. Insbesondere seine 1967 zusammen mit Stein Rokkan erschienene Theorie der sozialen Konfliktlininien (Cleavage-Theory) liefert bis heute ein einflussreiches makro-soziologisches Erklärungsmodell für die Parteienforschung zur Erklärung von länderspezifischen Parteiensystemen:
Die Strukturen der westeuropäischen Parteiensysteme reflektieren demnach in erster Linie diejenigen gesellschaftlichen Konfliktlinien, die historisch auf die Prozesse der Nationswerdung und Industrialisierung zurückzuführen sind:
  • Arbeit vs. Kapital
  • Stadt vs. Land
  • Kirche vs. Staat
  • Zentrum vs. Peripherie
Je nachdem wie stark diese möglichen Konfliktlinien im Einzeln (noch) ausgeprägt sind, strukturieren sie das Parteiensystem eines Landes. Auch besteht die Möglichkeit, dass einzelne Konfliktlinien sich im Laufe der Zeit in modifizierter Form darstellen. So zeigt sich z.B. die Werte- Konfliktlinie (Kirche vs. Staat) heutzutage nicht mehr in erster Linie als Konflikt um die Trennung von Kirche und Staat, sondern stellt sich eher als nicht-ökonomisches Werte-/Lifestyle-Cleavage zwischen denjenigen, welche z.B. in Fragen der sexuellen Orientierung, der Akzeptanz multikultureller Lebensentwürfe eine weitgehenend liberale Laisser-Faire-Haltung einnehmen und solchen, welche sich in diesen Fragen stärkere Restriktionen durch die staatliche Authorität wünschen.

Das aktuelle Parteiensystem der BRD spiegelt demnach (mindestens) zwei voneinander inhaltlich zu trennende gesellschaftliche Konfliktlininen wieder:
  • Arbeit vs. Kapital
  • nicht-ökonomisches Werte-Cleavage
Leider werden auch heute immer noch in den meisten Medien diese beiden Einstellungsdimensionen in einen Topf geworfen. Jedoch schafft es nur eine Unterscheidung zwischen beiden beispielsweise zu erklären, weshalb "rechtsextreme Einstellungen unter Gewerkschaftsmitgliedern genauso verbreitet sind, wie unter Nicht-Mitgliedern" (Quelle).

Lipset M. Seymour / Rokkan Stein 1967: Party Systems and Voter Alignments: Cross-National Perspectives.

Samstag, Januar 13, 2007

Reform der deutschen Single-Charts nach englischem Vorbild?

Welche Folgen ergeben sich nun nach der Reform der UK-Charts für die künftige Zusammensetzung der UK-Charts? Und auch interessant: Was ergäbe sich bei einer ähnlichen Modifizierung der deutschen Single-Charts? Der neue Charts-Mechanismus lässt nach meiner Ansicht, folgende Prognosen kurzfristiger und (weitaus wichtiger) langfristiger Folgen zu:

1. Kurzfristig begünstigt wird in nächster Zeit das Wiedereinsteigen von Singles, die bereits seit längerer Zeit in den regulären Charts nicht mehr gelistet wurden, jedoch noch weiter in den Download-Charts vertreten waren. Dies zeigt sich aktuell in England bei Snow Patrol-Chasing Cars (Wiedereinstieg auf 9!), Gnarlsarkley-Crazy (WE auf 30), Nelly Furtado-Maneater (WE auf 38)

2. Weitaus interessanter sind die langfristigen Auswirkungen:
  • Wiedereinstieg von Oldies: Auch ohne eine erneute Single-Veröffentlichung, können diese nun wieder die Charts entern z.B. durch:
    • Präsenz auf Film-Soundtracks, Game-Soundtracks
    • Präsenz in TV-Talent-Shows (Durch ihre Präsenz im englischen DSDS-Pendant X-Factor gelangten bereits alte Gassenhauer von den Proclaimers und Aerosmith zurück in die UK-Charts)
    • Präsenz der Künstler in Medien in Form nicht-musikalischer Schlagzeilen (z.B. Musiker XY heiratet, Musikerin Z stirbt)
    • erstmalige Verfügbarkeit als legaler Download: So ist es nicht unwahrscheinlich, dass eine laut Gerüchten demnächst bevorstehende Wiederveröffentlichung des gesamten Beatles-Kataloges als Online-Download, dazu führen könnte, dass die Beatles mit ihren Hits im Jahre 2007 die kompletten Top10 übernehmen könnten.
    • saisonale Aktualität z.B. Weihnachts-Schmonzetten, Karnevals-Gröhlnummern
  • Chart-Einstieg ohne Plattenfirma prinzipiell möglich: Während auf den ersten Blick, dieser neue Mechanismus es für Newcomer schwerer zu machen scheint, sich gegenüber den erhöhten Wiedereinstiegschancen der Pop-Oldies zu behaupten, bietet er ihnen gleichzeitig auch neue Chancen: Fortan ist es nicht unbedingt mehr erforderlich bei einer Plattenfirma unter Vertrag zu sein, um in den Charts berücksichtigt zu werden. Jeder Band kann es so gelingen alleine durch das Online zum Verkauf stellen ihres Songs in die Hitparade zu gelangen. Beste Chancen werden aktuell z.B. den englischen Newcomern Koopa ausgerechnet, als erste Band in die britischen Charts zu gelangen ohne eine eigene Plattenfirma im Rücken.
Kleiner Nachtrag (15.01.2007): Koopa haben es tatsächlich als erste ungesignte Bands in die britischen Charts geschaftt. Ihre Single "Blag, Steal & Borrow" stieg am letzten Sonntag auf Platz 31 ein.

Reform der UK-Charts

Seit dieser Woche werden die englischen Charts neu berechnet, was insbesondere denjenigen Songs zu Gute kommen wird, welche bisher nur als Internet-Download käuflich zu erwerben waren. Zwar wurde bereits seit einiger Zeit bei der Berechnung der UK-Charts auch die Anzahl der verkauften Online-Kopien berücksichtigt, jedoch galt dies nur für solche Titel, die gleichzeitig auch als physischer Tonträger in herkömlichen Geschäften verfügbar waren. Auf diese Weise gelang es z.B. Gnarls Barkley fast ausschließlich durch die Online-Verkäufe ihrer Single "Crazy", die britische Hitparade über längere Zeit anzuführen.
Von dieser Woche an fällt auch diese Beschränkung weg, berücksichtigt werden künftig die Downloads aller Titel unabhängig von ihrer gleichzeitigen Verfügbarkeit als physisches Äquivalent im herkömlichen Plattenladen. Unzweifelhalt ist, dass durch den Wegfall dieser Restriktion, die künftigen Charts, ihrem eigentlichen Oberziel (den aktuellen Musikgeschmack der Bevölkerung 1:1 widerzuspiegeln) ein Stück weit mehr Rechnung getragen wird. Dieser Einschnitt- der britische The Independent spricht gar vom "Tag, an dem die Musikliebhaber, die Kontrolle über die Charts übernahmen"- ist insbesondere umso positiver zu bewerten, wenn man die Lage z.B. mit den deutschen Single-Charts vergleicht.
Um sich diesem Oberziel noch weiter anzunähern, sind jedoch noch weitere Schritte nötig (z.B. akzeptieren viele Online-Shops nur Kreditkarten-Kauf, was insbesondere eine zusätzliche Hürde vor allem für minderjährige Käufer darstellen dürfte).

Samstag, Januar 06, 2007

Review: Knarf Rellöm Trinity-Move Your Ass & Your Mind Will Follow

"Verblüffend, aber plausibel haben die Pet Shop Boys jüngst gegenüber Spex erklärt, dass sie im Gegensatz zu Bands wie Kaiser Chiefs oder The Kills vom Punk kommen, während “die Musik” bei den heute als Punkrock gehandelten Bands “nichts anderes repräsentiert als sich selbst”. Und mit Punk meinte Neil Tennant: ein Anliegen, Kritik, Ausdruck von Unbehagen. “It’s more than music”, wie es in der Szene einmal hieß." (Martin Büsser 2006. In: Intro Nr. 140.)

Dass sich die beiden gesellschaftlichen Sub-Systeme Popkultur und Politik nicht unabhängig voneinander entwickeln ist unbestritten. Wie sieht es jedoch mit der Beziehung zwischen diesen beiden genauer aus? Beeinflussen nur die politischen Verhältnisse die Popkultur oder gibt es auch einen Kausalitätspfeil in die andere Richtung? Während sich für die erste Annahme (Politik beeinflusst Pop) musik-historisch eine Vielzahl von Belegen finden lässt, war die Frage, in wie weit sich durch Pop-Musik tatsächlich die politischen Verhältnisse verändern lassen, stets umstritten. Während in den Hochzeiten des politischen Protestsongs diese Frage wohl von einer Mehrheit bejaht wurde, machte sich seit dem Ende der 1980er Jahre eine immer größere Skepsis breit. Ein Teil der progressiven Pop-Kultur der 1990er fand daraufhin das "politische im Privaten" bzw. konzentrierte sich auf "Micro-Politics".

Mit dieser zweiten Frage beschäftigt sich auch Knarf Rellöm auf seinem aktuellen Album "Move Your Ass & Your Mind Will Follow" (zick zack/ what's so funny about 2006): Ausgehend von einem Sun Ra-Zitat, welcher "Musik als Treibstoff für Raumschiffe" sieht, erkennt Rellöm in ihr das Potential für das Hinterfragen gesellschaftlicher Verhältnisse. Vor allen Dingen die aktuelle Entwicklung des sogenannten "Indie-Rocks" hin zu immer belangloseren Inhalten scheint ihm dabei gründlich zu missfallen:

"No Indie Rock Please
Leave My House Right Now!
I Hate You So Much!"
(aus: LCD Is Playing At My House)

Daneben wird in Songs wie "AKD" (aktuelle Patriotismusdebatte) oder "Talkin' Techno" (Übernahme von vormals exklusiv-linken Codes durch die extreme politische Rechte) Stellung zu aktuellen gesamtgesellschaftlichen Fragen genommen.

Anstatt ganze Geschichten zu erzählen, sind die meisten Lieder weitgehend auf deutsch- und englischsprachige Slogans bzw. popkulturelle Zitate reduziert. Vom musikalischen Aufbau her, sind die Songs der Knarf Rellöm Trinity wohl deshalb am ehesten als "Slogan Pop" zu bezeichnen, einem Begriff, den man in den letzten Jahren z.B. auch häufig im Zusammenhang mit dem musikalischen Output des (völlig unpolitischen) Taylor Savvy (Album: Ladies & Gentlemen auf kitty-yo) las. Das Album bewegt sich dabei zumeist in Uptempo -"Disco-Punk"-Gefilden, unterbrochen von Hörspiel-Parts. Das Tempo wird aber auch in einzelnen regulären Stücken wie dem "Guns Of Brixton"-artigen Reggae-Stück "What's That Music" etwas gedrosselt. Neben textlichen Popkultur-Zitaten finden sich ebenfalls zahlreiche musikalische Verweise, wie z.B. in "Außerplanetarische Opposition" (The Prodigy u.a.: Out Of Space) oder bei "LCD Is Playing At My House" (Black Eyed Peas: My Humps). Durch den hohen Namedropping-Anteil im letztgenannten Track, fühlten sich auch bereits andere Blogger frappierend an "Hyper Hyper" von Scooter (!) erinnert.

Sowohl eine Audio- als eine Video-Version von "LCD Is Playing At My House" findet man auf den Download-Seiten des Bayerischen Rundfunks.
Knarf Rellöm-LCD Is Playing At My House (Studio-Mp3, Live-Mp3, Live-Video)@BR-Onine: Bavarian Open Source

Donnerstag, Januar 04, 2007

Ta Dah Vol. 2: Singles 2006

Nach den Alben 2006, hier noch als Nachtrag die Singles des vergangenen Jahres. Ich verzichte hier auch auf eine eigene Auflistung, vor allen Dingen aus dem Grund, dass ich einfach in der Regel nicht genau weiß, welche Songs tatsächlich als Singles veröffentlicht wurden. Die Zündfunk-DJs sehen hier folgendes vorn:

1.HOT CHIP-Boy From School
2.GNARLS BARKLEY-Crazy
3.HOT CHIP-Over and over
4.PETER, BJORN AND JOHN-Young folks
5.CSS-Let´s make love
6.SPANK ROCK-Bump
7.UFFIE-Pop the glock
8.DEICHKIND-Remmidemmi
9.TV ON THE RADIO-Wolf like me
10.THE RACONTEURS-Steady as she goes

Das ebenfalls sehr geschmackssichere Weblog Monarchie und Alltag setzt auf:

1. GNARLS BARKLEY - CRAZY
2. MIKA – RELAX, TAKE IT EASY
3. JUSTIN TIMBERLAKE – MY LOVE
4. AMY WINEHOUSE – REHAB
5. LILY ALLEN – LDN
6. PET SHOP BOYS – MINIMAL
7. NELLY FURTADO – MANEATER
8. SCISSOR SISTERS – I DON’T FEEL LIKE DANCING
9. TORSUN – TEN GERMAN BOMBERS
10. KELIS – BOSSY
 

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